Eine Veranstaltung der bukof-Kommission Geschlechtergerechte Personalentwicklung an Hochschulen
Mit dem #IchBinHanna/#IchBinReyhan ist im Sommer 2021 eine schwelende Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, mangelnde Karriereperspektiven neben und unterhalb der Professur und die Personalstrukturen an Hochschulen neu entfacht.
Fragen der akademischen Personalentwicklung sowie der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft jenseits der Professur werden in Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und in der Politik seit vielen Jahren diskutiert.
Mit Bund-Länder-Programmen wie das Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Tenure-Track-Programm) und dem Programm „FH-Personal“ zur Förderung und Entwicklung von professoralem Personal an HAWs sollen Anreize für verlässliche Karrierewege und Entwicklungsperspektiven für die Erlangung einer Professur geschaffen werden.
Einige Landesparlamente wie Berlin und Hessen haben mit der Novellierung ihrer Landeshochschulgesetze jüngst Vorschläge zur Entfristung von wissenschaftlichem Personal nach der Promotion vorgelegt.
Auch liegen bereits außer den genannten Gesetzesänderungen, Forderungen und Modelle für Reformen von Gewerkschaften und Initiativen vor. Über die Visionen und Alternativen und wie diese erreicht werden könnten, besteht jedoch Uneinigkeit. Gleichzeitig haben sich bereits einige Hochschulen auf den Weg gemacht, haben die Debatte intern oder öffentlich aufgegriffen und arbeiten an neuen akademischen Personalkonzepten.
Mit einem Online-Workshop im November 2022 hat die bukof Kommission „Geschlechtergerechte Personalentwicklung an Hochschulen“ die aktuelle Debatte aufgegriffen und um die Perspektiven zur Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit ergänzt.
Der zweitägige Online-Workshop brachte vielfältige Perspektiven auf das Wissenschaftssystem und Handlungsoptionen zu dem Thema zum Vorschein und zeigt noch mal in aller Deutlichkeit die große Bedeutung von Gleichstellung und Chancengleichheit in dieser Debatte, da die alleinige Veränderung von Personalstrukturen oder die Entfristung von wissenschaftlich Mitarbeitenden keinen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftssystem beiträgt.
Ein Auftaktvortrag zu diesem Workshop fand im Rahmen der bukof-Jahrestagung am 29. September 2022 mit Dr.in Nina Steinweg vom CEWS zum Thema Rechtliche Rahmenbedingungen für akademische Karriereperspektiven statt. Der zweitägige Workshop mit dem Titel Akademische Karrieren neu denken!? fand sechs Wochen später in einem Online-Format statt, an dem jeweils rund 130 Teilnehmer*innen aus zahlreichen Hochschulen und Wissenschaftsinstitutionen aus dem gesamten Bundesgebiet teilgenommen haben.
Zielstellung und damit integraler Bestandteil des gesamten Programms waren verschiedenen Perspektiven auf das komplexe Thema aufzuzeigen, die von vielfältigen Expert*innen referiert und gemeinsam mit dem Plenum diskutiert wurden: aus Politik, Wissenschaft sowie hochschulpolitischen Initiativen, von Hochschulleitungen aus Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Professor*innen aus Deutschland und Großbritannien sowie wissenschaftliche Mitarbeiter*innen.
Das Programm umfasste folgende Beiträge:
Kai Gehring (MdB, Vorsitzender im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung): Mehr Frauen an die Spitze! Politische Impulse für bessere und geschlechtergerechte Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft.
Prof.in Dr.in Kathrin Becker-Schwarze (Vizepräsidentin für Lehre und Studium an der Hochschule Fulda, u.a. verantwortlich für Chancengleichheit und Diversität): Chancengerechte Karrierewege an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften aktiv gestalten. Der Fuldaer Weg.
Franziska Lutzmann und Natalie Sontopski, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Promovendinnen an den Hochschulen Magdeburg-Stendal und Merseburg: Wissenschaftlichen Nachwuchsförderung an HAWs als gleichstellungspolitische Herausforderung.
Prof.in Dr.in Geraldine Rauch (Präsidentin der Technischen Universität Berlin): Systemverstopfend oder systemrelevant? Ein Aufruf für mehr Dauerstellen im akademischen Mittelbau!
Prof.in Dr.in Amrei Bahr (Universität Stuttgart und Initiative #IchBinHanna): Chancengerechtigkeit durch sichere Karrierewege: Zur Gleichstellungsdimension von #IchBinHanna.
Prof.in Dr.in Juliane Specht (Humboldt-Universität Berlin): Nachhaltige Personalstrukturen als Maßnahme zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit
Prof.in Dr.in Elisabeth Kelan (University of Essex) Prekäre akademische Karrieren: Ein Blick aus Großbritannien.
Ein zentrales Thema des Workshops wurde die Forderung nach einem Kulturwandel in der Wissenschaft, um gesicherte und attraktive Positionen in der Wissenschaft neben der Professur zu schaffen. Allein an Personalkategorien zu stricken, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu novellieren oder nach mehr Entfristungen zu rufen, reicht nicht. Es braucht einen fundamentalen Kulturwandel in den Hochschulen, um Hierarchien abzubauen oder zumindest neu zu definieren und mehr Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit ins System zu tragen. Erste Ideen wie das gehen kann und was es dafür braucht wurden präsentiert.
Weitere wichtige Aspekte, die in vielen Vorträge thematisiert wurden sind authentische Vorbilder auf allen Ebenen und in allen Phasen der wissenschaftlichen Karriere, die Stärkung der Arbeitgeberinattraktivität der Wissenschaftsinstitutionen nach innen und außen, die besonderen Herausforderungen im MINT-Bereich und die Bedeutung von Biases in allen Entscheidungsprozessen, um nur einige Punkte zu nennen.
Konkreter und hochschulspezifischer wurde es bei einem Blick in die Werkstätten und der damit verbundenen Vorstellung von aktuellen (Pilot-)Projekten für mehr Geschlechtergerechtigkeit an deutschen Hochschulen. Hier wurden sowohl Personalentwicklungskonzepte und -instrumente wie auch neue Personalkategorien in ihren Erprobungsphasen vorgestellt.
Prof. Dr. Stefan Michael Schröder und Dr. Britt Dahmen von der Universität Köln stellten vor, wie die Universität akademische Personalentwicklung und Chancengleichheit strukturiert zusammenführt, wie z.B. in dem Action Plan Human Ressource Strategy for Researcher und dem Prorektorat Akademische Karrieren und Chancengleichheit. Dies geschieht, in dem Personalentwicklungsmaßnahmen und institutionelle Strukturen in den wissenschaftlichen Qualifizierungsphasen gezielt mit den Entwicklungsplänen zu Gleichstellung und Diversität der Fakultäten verzahnt werden.
Dr.in Iris Werner, Universität Kiel, stellte die Einrichtung einer begrenzten Anzahl von entfristeten Postdoc-Stellen in forschungsstarken Bereichen sowie ein Dauerstellenkonzept der Universität mit Schwerpunkt in der Lehre vor, welches quotiert war und unter Einbindung der Gleichstellungsbeauftragten umgesetzt wurde.
Dr.in Sylvia Lange, Universität Hildesheim, beleuchtete hingegen kritisch die Erarbeitung und Umsetzung eines Konzepts für Senior Lecturer und Senior Researcher an der Universität, welches zu verbesserten Arbeitsbedingungen und mehr Chancengleichheit führen sollte und zeigte dabei die Fallstricke im Hinblick auf die Geschlechtergleichstellung auf.
Die Mitarbeiterinnen der TH Köln, Lisa-Marie Friede, Dagmar Linnartz und Lena Nölkenbockhoff, stellten mit dem Tandemprogramm den Aufbau neuer Personalkategorien an HAWs vor. Dabei hoben sie die Herausforderungen und Notwendigkeiten der Integration von Gleichstellungszielen und -maßnahmen in den Tandemprogrammen hervor. Dies bedeutet vor allem, die Gewinnung von Frauen für diese Programme gezielt in den Blick zu nehmen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Struktur- und Kulturwandel notwendig ist, der von Gleichstellung und Diversität als Querschnittsthemen getragen ist und innerhalb der gesamten Hochschule und in besonderer Weise durch die Hochschulleitung vertreten und gefördert werden müssen. Dabei ist eine enge Verzahnung mit politischen und wissenschaftlichen Akteur*innen auf Landes- und Bundesebene wichtig und erforderlich.
Abschließend kann konstatiert werden, dass dieser Workshop ein hochaktuelles und wichtiges Thema aufgegriffen und damit einen wichtigen Beitrag zum aktuellen Diskurs geleistet hat.